Leistungslose Einkommen sollen besteuert werden

In den nächsten 30 Jahren fallen in der Schweiz gigantische Erbschaften an, weil nun die seit den Siebzigerjahren entstandenen hohen Vermögen zur Vererbung ge­langen. Rund 900 Personen werden mehr als 100 Millionen Franken erben. Davon erhalten 120 eine Erbschaft von mehr als einer Milliarde Franken. Leistungslose Einkommen sollen nun besteuert werden, fordert die eidgenössische Erbschaftssteuerreform-Initiative.

von Hans Kissling* / Quelle: www.haelfte.ch

Zur Illustration seien hier zwei reale Beispiele aus dem Kanton Zürich genannt: Ein vor kurzem verstorbener 101-Jähriger hinterlässt seinen beiden Nachkommen 7 Milliarden Franken. Jeder von ihnen hat somit zwischen 3 und 4 Milliarden Franken geerbt. Damit könnte jeder von ihnen alle Wohnungen und Einfamilienhäuser im Kanton Appenzell Innerrhoden erwerben. Ein bekannter 30-jähriger Partylöwe, der mit seinen Eskapaden auch immer wieder die Justiz beschäftigt, hat von seinem Vater, dem ehemaligen Eigentümer eines Aviatikunternehmens, einen dreistelligen Millionenbetrag geerbt. Damit wird er seinen Lebensstil ohne eigene Leistung weiterpflegen können.

Ungleichheiten wachsen mit dem Generationenwechsel

Die hohen Erbschaften führen dazu, dass die grössten Vermögen generationenübergreifend weiter wachsen und sich dadurch die bereits heute bestehende extreme Ungleichheit in der Verteilung der Vermögen verschärft. Im Kanton Zürich, der zu den wenigen Kantonen mit einer detaillierten Vermögensstatistik gehört, besitzen die drei Reichsten zusammen gleich viel wie die Hälfte der ärmeren Steuerpflichtigen. Die zehn Reichsten besitzen soviel wie zwei Drittel und die hundert Reichsten gleich viel wie drei Viertel der Steuerpflichtigen. Gemäss einer im Januar 2011 von der Credit Suisse veröffentlichten Studie besitzt das reichste Prozent der Personen in der Schweiz rund 58,9% des gesamten Vermögens. Das bedeutet, dass sich 99% der Bevölkerung mit weniger als der Hälfte des Vermögens begnügen müssen. Damit weist die Schweiz die höchste Vermögenskonzentration aller wirtschaftlich hoch entwickelten Länder auf.

Bisher praktisch keine eidgenössische Erbschaftssteuer

Wie kommt die Schweiz auf diesen Podestplatz? Es gibt zur Hauptsache drei Gründe dafür. Erstens wurde unser Land von den beiden Weltkriegen verschont. Anders als in den meisten übrigen europäischen Ländern wurden keine Vermögenswerte zerstört und die Schweizer Dynastien konnten ihre Reichtümer ungehindert weiter vermehren. Zweitens bietet sich die Schweiz seit Jahrzehnten reichen Ausländern als Steuerfluchtort an, was zu einer ständigen Zuwanderung von Reichen und Superreichen führt. Zum Dritten gibt es in der Schweiz als einem der ganz wenigen Länder in Europa praktisch keine Erbschaftssteuern für direkte Nachkommen. Die grossen Vermögen können so ungeschmälert von einer Generation auf die nächste übertragen werden, wodurch die Vermögensakkumulation ständig weiter geht.

Bestehendes Steuersystem diskriminiert

Personen, die Hunderte von Millionen erben, ohne auch nur einen Finger krümmen und in der Regel ohne auch nur einen Franken Steuern dafür bezahlen zu müssen, sind die eigentlichen Abzocker in unserem Land und nicht etwa die Manager mit ihren Boni. Diese müssen ja immerhin noch eine gewisse «Leistung» dafür erbringen und auf den erhaltenen Beträgen Steuern bezahlen. Eigentlich ein Irrsinn: Der eine, der für harte Arbeit z.B. im Jahr 80’000 Franken verdient, hat Steuern zu bezahlen, der andere, der den tausendfachen Betrag geschenkt bekommt, rein gar nichts.

Zwar gibt es in der Schweiz in allen Kantonen ausser dem Kanton Schwyz Erbschaftssteuern, aber die – meist sehr geringe – Besteuerung der direkten Nachkommen wurde nach Mitte der Neunzigerjahre in fast allen Kantonen im Zuge des interkantonalen Steuerwettbewerbs abgeschafft. So besteht heute die Situation, dass jene Erben, die als direkte Nachkommen seit ihrer Geburt auf vielfältige Weise vom Reichtum ihrer Eltern profitieren können, von der Erbschaftssteuer befreit sind, während die entfernt oder Nichtverwandten Erbschaftssteuern mit Sätzen bis zu 49% bezahlen müssen. Diese Diskriminierung der Nichtverwandten beschleunigt die Konzentration der Vermögen bei den Reichen. Höchste Zeit also für eine nicht diskriminierende Erbschaftssteuer.

Für liberale Chancengleichheit

Die Erbschaftssteuer ist die liberalste und gerechteste Steuer. Liberal ist sie, weil die höchst ungleiche Verteilung der Vermögen dem liberalen Gedanken der Chancengleichheit widerspricht und eine Erbschaftssteuer hier korrigierend eingreift. Gerecht ist sie, weil sie jene besteuert, die ohne eigene Leistung zu grossen Vermögen gelangen.

Eine wirksame Erbschaftssteuer kann nur auf Bundesebene realisiert werden. Nach der Abschaffungswelle in den Kantonen ist an eine Wiedereinführung von kantonalen Erbschaftssteuern nicht zu denken. Da alle in den vergangenen zwanzig Jahren eingereichten Vorstösse zu einer Bundeserbschaftssteuer im Nationalrat versenkt wurden, ist zudem einzig der Weg über eine eidgenössische Volksinitiative zum Ziel führend. Dabei geht es nicht um eine neue Steuer, sondern um eine Steuerreform, die den föderalen Wildwuchs und den schädlichen interkantonalen Steuerwettbewerb beseitigt.

Im August 2011 haben EVP, SP und Grüne zusammen die eidgenössische Volksinitiative «Millionen-Erbschaften besteuern für unsere AHV» lanciert. Es ist eine Nachlasssteuer, die auf dem gesamten hinterbliebenen Vermögen erhoben wird, anstatt einer so genannten Erbanfallsteuer, bei der die den Erben zufallenden Vermögenswerte erfasst und die direkten Nachkommen mit tieferen Sätzen bevorzugt werden. Eine Nachlasssteuer verursacht weniger Erhebungsaufwand als eine Erbanfallsteuer. Das finden auch die beiden Ökonomen Alois Bischofberger und Rudolf Walser von avenir suisse im kürzlich erschienen Buch «Steuerpolitische Baustellen».

Freigrenze von 2 Millionen Franken

Da die Steuer die zunehmende Reichtumskonzentration ins Visier nehmen will, werden nur Nachlässe ab 2 Millionen Franken besteuert. Kleinere Beträge bleiben steuerfrei, weil diese zu einer breiteren Verteilung des Volksvermögens beitragen. Der hohe Freibetrag ist auch deshalb nötig, damit die Initiative in der Volksabstimmung überhaupt eine Chance hat. Die Abschaffung der kantonalen Erbschaftssteuern für direkte Nachkommen gelang nicht zuletzt deshalb, weil – zum Teil –  bereits extrem kleine Erbschaften besteuert wurden. Im Kanton Jura betrug zum Beispiel die Freigrenze lediglich 1’000 Franken.

Nachlässe über 2 Millionen Franken werden mit einem einheitlichen Satz von 20% besteuert. Zur Verhinderung der weiteren Vermögenskonzentration wäre ein höherer Satz erwünscht gewesen. Um die Realisierungschancen zu wahren, wurde aber darauf geachtet, dass die Steuersätze unterhalb den Sätzen der wichtigsten Nachbarländer bleiben.

Damit die geplante Erbschaftssteuer nicht Familienbetriebe in ihrer Existenz bedroht, wird für KMUs ein zusätzlicher Freibetrag und ein tieferer Steuersatz gewährt, allerdings mit der Auflage, dass der vererbte Betrieb durch die Erben eine gewisse Zeit lang weitergeführt wird.

So wird es für die bürgerlichen Gegner einer Bundeserbschaftssteuer schwieriger, die Angst vor Arbeitsplatzverlusten in der Abstimmungskampagne zu bewirtschaften.

Zweckgebunden in die AHV

Die geplante Bundeserbschaftssteuer würde rund 3 Milliarden Einnahmen pro Jahr generieren. Zwei Drittel des Ertrages fliessen in den AHV-Fonds. Mit dieser Zweckbindung kann Druck von der AHV genommen werden, der in absehbarer Zeit infolge der steigenden Lebenserwartung entstehen wird. Es drohen mittelfristig Rentenkürzungen oder die Erhöhung der Beitragssätze. Höhere Beiträge würden die Arbeitseinkommen belasten und die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen schwächen. Mit der Verwendung der Erträge aus einer Bundeserbschaftssteuer für die AHV könnte dieser Entwicklung, welche die Solidarität zwischen Jung und Alt gefährdet, entgegen gewirkt werden. Weil heute Erbschaften meist erst im Rentenalter anfallen, wäre eine solche Lösung auch ein Akt der Solidarität der reichen gegenüber den ärmeren AHV-Bezügern. Ein Drittel der Einnahmen bleibt bei den Kantonen. Damit erhalten sie einen Ausgleich für die wegfallenden kantonalen Erbschaftssteuern.

Die Initiative «Millionen-Erbschaften für unsere AHV» dürfte in der Volksabstimmung eine reelle Chance haben. Eine 2011 durchgeführte Umfrage des Beobachters hat ergeben, dass 70% der Befragten eine Bundeserbschaftssteuer befürworten, wenn der Freibetrag mindestens eine Million Franken beträgt. Dass zwei Drittel des Ertrages in den AHV-Fonds fliessen, dürfte die Chance der Initiative zusätzlich erhöhen. Vorerst geht es aber darum, die benötigten 100’000 Unterschriften zusammen zu bringen. Acht Monate nach der Lancierung sind rund zwei Drittel beisammen. Es braucht noch einen grossen Effort damit die nötige Anzahl Unterschriften bis zum Ablauf der Sammelfrist (Februar 2013) zusammenkommt. Auf der Website erbschaftssteuerreform.ch können die Unterschriftenbögen in deutscher, französischer und italienischer Sprache herunter geladen werden.

*Zur Person: Hans Kissling ist Ökonom und früherer Chef des Statistischen Amtes des Kantons Zürich